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daniel 18.09.2000

Norwegen '98 - ich glaub', mich knutscht kein Elch (Teil 1)

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Tour-Motorrad
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Norwegen '98 - ich glaub', mich knutscht kein Elch (Teil 1)

Ein Erlebnisbericht aus dem nassen kalten Skandinavien.
Zwölf Tage sind wir schon unterwegs, und die einzigen Elche, die wir bisher gesehen haben, sind die auf den Warnschildern. Okay, und die auf den Postkarten – in allen Varianten.

Heute morgen regnet es und es ist elch-kalt für Ende Juni, aber wir sind auch 300 km nördlich des Polarkreises. Was nicht viel zu sagen hat, denn gestern konnten wir um Mitternacht noch im T-Shirt in der Sonne sitzen. Die geht hier im Sommer nie unter, dafür haben die Leute soweit oben im Norden im Winter dann zwei Monate lang nur Licht aus der Steckdose.
Polarnacht heißt das dunkle Phänomen, und uns ist seine helle Schwester, die Mitternachtssonne, eindeutig lieber. Man kommt plötzlich mit viel weniger Schlaf aus, und selbst ziemlich nachtblinde Motorradfahrer wie ich können bis tief in die Nacht hinein die herrlich gewundenen Straßen entlangkurven. Ganz entspannt. So wie jetzt.
Aber, Moment, das da vorne, das sieht ja aus wie ... Tatsache: da stehen unsere ersten echten "wilden" Elche! Wow!

Wir lassen die beiden BMWs vorbei rollen, das Motorengeräusch scheint die Burschen nicht weiter zu stören, und parken hinter der Böschung. Schnell den Fotoapparat aus dem Tankrucksack wühlen und anpirschen. Als wir zu Fuß ins Blickfeld kommen, schnellen die beiden Elchköpfe hoch – unglaublich, und das mit diesem Riesengeweih! Die Tiere bewegen sich damit fast so grazil wie unsere heimischen Rehe.
Die beiden Prachtexemplare vor unseren Nasen bewegen sich allerdings erstmal gar nicht: Elch starrt Tourist an, der Elch anstarrt. So bleibt das minutenlang. Bis ich den Fotoapparat hebe, anlege, abdrücke. Das finden die Elche doof und gehen. Gemächlich. Stolz.
Wir sind ganz aufgeregt und glücklich - Elchtest: bestanden!
Wo wir schon fast nicht mehr damit gerechnet hatten, welche zu sehen. Die Skandinavien-Veteranen auf der Fähre vom dänischen Hirtshals ins norwegische Kristiansand, die immerhin schon zum siebten Mal in den hohen Norden fuhren, die hatten uns erzählt, sie wären noch nie Elchen begegnet. Tja, Anfängerglück...
Der unsichtbare Ruderverein
Glück hatten wir seit Beginn unserer Reise. Schon bei der Anfahrt zur Fähre einmal längs durch Dänemark durch. Natürlich mußten wir unterwegs übernachten.
Das wollten wir in dem kleinen Ort Haderslev, weil der in der ADAC-Karte so nett beschrieben ist mit einer gemütlichen Altstadt mit blauen, grünen, roten und gelben Fachwerkhäusern, dazu direkt an einem Fjord gelegen.
In dem Ort gibt es allerdings nur zwei Hotels, Norden und Harmonie, und beide waren voll. Ein alter Mann, ziemlich militärisch drauf und nach eigenem Bekunden Mitglied der deutschen Minderheit (und stolz darauf, in der Nähe von Berlin ausgebildet worden zu sein) sprach uns an, als er unsere Berliner Kennzeichen sah. Nachdem wir seine Lebensgeschichte erfahren hatten und dass es in Haderslev eine deutsche Kirche und einen deutschen Ruderverein gibt (den man aber nicht sieht, weil er hinter einer Hecke verborgen ist), gab der alte Herr uns den Tip, es im "Wandererheim" – der skandinavischen Variante einer Jugendherberge - zu versuchen. Der Weg dorthin sei ganz leicht zu finden: einfach beim deutschen Ruderverein, den man zwar nicht sieht, weil er ja hinter der Hecke liegt, aber jedenfalls dort, rechts abbiegen. Ah ja.
Weil wir verhindern wollten, dass er uns auch noch den vollständigen Lebenslauf seiner Gattin erzählt und es obendrein langsam dämmerte, machten wir uns auf die Suche. Zum Glück brauchten wir den unsichtbaren Ruderverein gar nicht als Wegmarke, weil das Wandererheim gut ausgeschildert ist.
Mir gefiel es auf Anhieb besser als beide Hotels, denn es ist wunderschön gelegen: gepflegte alte Backsteingebäude mit weißen Sprossenfenstern mitten in einem großen, parkähnlichen Garten direkt am Fjord. Die Atmosphäre ist ungemein friedlich und der Herbergsvater hat wirklich etwas Väterliches. Nachdem er uns für's Abendessen das Restaurant Spiele empfohlen hatte, machten wir uns auf den Weg in die Stadt. Knapp zwanzig Minuten braucht man zu Fuß, und der Weg ist schön, erst am Fjord entlang und dann durch die Fußgängerzone. Das Restaurant entpuppte sich als wahrer Gourmettempel und wir waren ganz begeistert über unsere Schollenfilets gefüllt mit Lachs und Krabben. Mit 400 DK mußten wir dafür allerdings auch mehr berappen als für die gesamte Übernachtung inklusive Frühstück (380 DK). Dafür war das Frühstücksbuffett überhaupt nicht JuHe-mäßig, sondern wie im Hotel, sogar mit Kerzen auf allen Tischen.
Die Jammerbucht am Skagerrak
Das Wetter an diesem Morgen ist jämmerlich. Es schüttet und windet ohne Ende. Auf der Autobahn Richtung Hirtshals heben wir fast ab. Die BMWs pendeln im Wind, da hilft auch nicht, dass wir wegen der vollen Beladung am Vortag noch das Federbein nachgestellt haben. Aber, wie das immer so ist, der Mörderwind hat auch etwas Gutes: er bläst alle Wolken davon, so dass sich uns die Jammerbucht zwar aufgewühlt, aber in tiefstem Blaugrün bei strahlender Sonne präsentiert.
Unzählige Wracks liegen hier auf Grund und die aufgebrachten Wellen mit ihrer fliegenden weißen Gischt lassen unschwer erahnen, warum die Schiffbrüchigen der Jammerbucht ihren Namen gaben.
Uns schreckt das nicht. Wir fahren runter zum Fährhafen und buchen eine Passage auf dem Expressboot am Nachmittag. 1224 DK kostet das für beide Motorräder, dafür ist man in nur 2 ½ Stunden drüben in Norwegen.
Vorher schauen wir uns noch in Hirtshals um, beißen uns so durch (Smörebröd, Sild, Hot Dogs, Softeis) und treffen einen Freak, der trotz des kalten Windes mit bloßem Oberkörper und in kurzen Hosen umherskatet und unsere Bikes cool findet. Außer am Fährhafen steppt in Hirtshals auch nicht gerade der Bär, deshalb verstehen wir seine Interessensbekundungen nur zu gut. Unten stellen wir unsere motorisierten Objekte der Begierde ganz vorne in die Wartereihe für die Fähre, direkt neben einen herrlichen alten Volvo-Lieferwagen. Das Teil stammt vermutlich aus den Fünfzigern, ist aber perfekt erhalten, fast museumsreif.
Wir kommen mit einer Hamburgerin ins Gespräch, die mit ihrem angelversessenen Mann für drei Wochen eine Hütte am Fjord gemietet hat. Sie erzählt uns, dass ihr Sohn bereits mit dem Motorrad vorgefahren und unterwegs eingeschneit ist. Oh, prima, denken wir, und: gibt's eigentlich Schneeketten für Moppeds??

Aber dann sagt sie noch, Wetter-
risiko hin oder her, für sie sei Norwegen das schönste Land der Welt und hinter jeder Kurve warte eine neue Überraschung, so vielfältig sei die Landschaft nirgendwo sonst – und so prächtig.
Und dann kommt auch schon die Fähre, und wir fahren die steilen stählernen Rampen hinauf ins Dunkle, verzurren die Maschinen und haben keine Ahnung, wie oft wir das in den nächsten Wochen noch tun werden...
Sonnenuntergang in den Schären
Wir stehen ganz oben an Deck als die Küste näher kommt, die ersten Schären zu sehen sind, ein großer weißer Leuchtturm.
Die Sonne steht schon tief, hier sind wir noch so weit im Süden, dass sie tatsächlich untergeht, auch im Hochsommer, und das Wasser glitzert und funkelt und sieht aus, als habe jemand Millionen von Diamanten ausgeschüttet in den Korridor der letzten Sonnenstrahlen.
Auf den Schären kann man jetzt die Sommerhäuser erkennen, einstöckige Holzhütten in allen Farben, ganz romantisch direkt am Wasser, darunter ein Steg, ein Boot, Dutzende kleiner Paradiese für ein paar warme Wochen am Meer.
Die Luft ist frisch, tangig, so-schmeckt-der-Sommer-mäßig.
Dann ist die Stadt da und wirkt so klein, obwohl sie die fünftgrößte Norwegens ist, und die Fähre legt an, die gewaltigen Dieselmotoren verstummen, die Tore öffnen sich, und ich fahre runter von der Fähre, als Allererste, wie ich das liebe, mitten hinein in die untergehende Sonne, und das Erste, was ich mit festem Boden unter den Reifen von Norwegen sehe, ist: Nichts.
Das ist ein einmaliges Gefühl, in einem fremden Hafengelände rumzufahren, an der Spitze einer Kolonne, und vor lauter Sonnenuntergang nicht zu sehen, wo man hinfährt! Aber hier gehört das so, denn Kristiansand hält den Rekord in Sachen norwegische Sonnentage.
Irgendwie hab' ich's auch richtig gemacht und bin beim Zoll gelandet, wo ich sofort durchgewinkt werde, nur Reto mit seinem Schweizer Pass wird wie üblich aufgehalten. Daran ist er so gewöhnt, dass ich manchmal denke, ihm würde etwas fehlen, wenn die Passkontrolleure ihn nicht stoppen würden.
Verfahren kann man sich nicht in dieser Stadt, denn die ist streng schachbrettartig angelegt, weil Christian IV. im 17.Jahrhundert unbedingt sein absolutistisches Städtebauideal verwirklichen wollte. Wir fahren aber sowieso nicht weit, nur bis zum ersten Hotel, das passenderweise Skagerrak heißt.
Die Moppeds dürfen auf einem Parkdeck übernachten und wir haben vor unserem komfortablen Zimmer (760 NK) sogar eine Mini-Dachterrasse. Dort halten wir uns nicht lange auf, denn wir wollen was sehen von unserer ersten norwegischen Stadt und schlendern gemütlich durchs Zentrum. Es ist ziemlich modern, aber einige schöne weiße Holzhäuser gibt es auch.
Schließlich landen wir unten am Yachthafen, und da ist ein Restaurant mit überdachter, geheizter Terrasse und idyllischem Blick auf's Meer und Fischsuppe auf der Speisekarte. Wer kann dazu schon Nein sagen?
Zur Feier des Tages gönnen wir uns ein alkoholhaltiges Bier und dann noch eins und hören den Leuten zu, ihrer fremden Sprache, und stellen fest, dass hier unheimlich viel gelacht wird, laut und herzlich, und fühlen uns sauwohl.
Die weißen Städte des Südens
Wie Perlen einer Kette reihen sich die kleinen Badeorte der Küste aneinander. Sorlandet heißt die Gegend und ist eine der beliebtesten Urlaubsregionen Norwegens. Die Einheimischen sagen, hier gäbe es das sauberste Badewasser Europas.
Wer jetzt aber glaubt, die Küste sei deshalb überlaufen, liegt schief. Auf den Straßen herrscht kaum Verkehr.
Zum Glück, denn wir stellen schnell fest, dass der Norweger an sich beim Autofahren zu einer gewissen Unberechenbarkeit neigt. Blinken scheint er grundsätzlich für überflüssig zu halten, speziell, wenn er aus dem Kreisverkehr abbiegt, was ziemlich gewöhnungsbedürftig ist. Dazu neigt er - je schmaler die Strasse, desto lieber - zum in-der-Mitte-fahren und ist auch durch andere unübersehbare Verkehrsteilnehmer nicht zum Platz machen zu bewegen.
Aber all das läuft in gemächlichem Tempo ab, weil auf den Landstraßen sowieso Tempo 80 gilt, und so fährt es sich insgesamt sehr angenehm. Dazu trägt heute auch das Kaiserwetter bei: strahlender Sonnenschein, kaum ein Wölkchen in Sicht, warm, aber immer eine leichte Brise – einfach ideal zum Fahren und zum Rumsitzen.
Und die Frau des Anglers auf der Fähre hat tatsächlich Recht gehabt: das Land ist ein Traum – Schären, Boote, Fjorde, Kühe, Häuschen – vor allem die Häuschen. Es gibt sie in allen Farben, Ochsenblutrot und Butterblumengelb, Fjordblau und Krabbenrosa, und alle blitzsauber und gepflegt.
Die Kurven haben einen herrlichen Rhythmus und wir können uns kaum Einkriegen vor lauter Begeisterung.
Lillesand ist der erste Ort, in den wir kommen. Ein Postkartenidyll mit herrschaftlichen Villen, niedrigen Holzhäusern, schmalen Gassen, alten Werbeschildern an den Tante-Emma-Läden – und dann ist auch noch Markttag, und die Stände mit Blumen, Obst, Brot, Käse und Fisch verteilen sich über den Marktplatz hinaus bis in die angrenzenden Gassen.
Eigentlich könnte ich hier bleiben für die nächsten, sagen wir mal: drei Wochen (das werde ich während des ganzen Urlaubs so oder so ähnlich ungefähr dreimal täglich an den unterschiedlichsten Orten denken). Zeit für einen Kaffee am Hafen nehmen wir uns nach dem Stadtbummel in jedem Fall.

Dort prallen Welten aufeinander: ein Harley-Umbau mit der vielleicht längsten Gabel der Welt auf der einen Seite, perfekt restaurierte, vollständig seetüchtige alte Holzschiffe auf der anderen.
Grimstad ist unser nächster Stop, mir ein bißchen zu modern, aber ein Muß für alle literarisch Interessierten, schließlich geisterten hier die beiden berühmtesten Schriftsteller Norwegens rum: Henrik Ibsen hat in Grimstad seine Apothekerlehre gemacht und Knut Hamsun ein paar Kilometer weiter auf Gut Norholm gelebt. Schön für die beiden...
Wir fahren weiter nach Arendal, größer als die anderen Städtchen und ursprünglich erbaut auf sieben Inseln, weshalb sich ein Blick von oben auf die Stadt besonders lohnt. Und auch die Altstadt sollte man nicht verpassen: für die "vorbildliche Erhaltung" der Holzhäuser hat Arendal nämlich einen europäischen Denkmalschutzpreis gewonnen.
Das nächste Dorf auf unserem Weg hat sich seine eigene Auszeichnung verdient: Lyngor trägt seit 1991 stolz den Titel "Europas besterhaltenes Dorf".

Wir wollen trotzdem weiter bis nach Risor. Das Künstlerstädtchen ist um einen großen natürlichen Hafen herum gebaut. Schmale Gassen führen auf drei Seiten davon weg, und alle sind mit schneeweiß gestrichenen Holzhäusern bebaut. Wir nehmen Quartier im Hotel Risor unten am Meer, und die Rezeptionistin fragt ganz unverfänglich, ob wir ein ruhiges Zimmer nach hinten haben wollen oder eines mit Blick auf den Schärengarten, aber über der Disko.
Wir denken, die Disko wird schon nicht so lange geöffnet sein, und nehmen das mit Meerblick. 900 NK kostet die Nacht, das Zimmer ist hinreißend, der Blick auch, und die Bar auf der Hotelterrasse lockt: als Tresen dient ein halbes Boot.
Doch vor dem Aperitiv schauen wir uns die Stadt etwas genauer an. Über dem Eingang zu einem Antiquitätenladen hängt eine wunderschöne Gallionsfigur, die ich am liebsten sofort mitnehmen würde. Nur weil sie auf dem Motorrad eine gar zu merkwürdige Sozia abgeben würde, verkneife ich mir den Kauf. Es ist richtig heiß geworden, und wir gönnen uns einen Eiskaffee am Hafen, schmöckern in unseren Reiseführern und überlegen alternative Routen für den nächsten Tag.
Beim Abendessen im Hotel lernen wir ein Bikerpaar aus der Telemark kennen. Die beiden verbringen ein langes Wochenende an der Küste und erzählen uns, wo man am schönsten Motorrad fahren und Entspannen kann – etliche ihrer Tips sind Gold wert!
Am Abend ziehen wir zusammen um die Häuser und finden, dass Risor bei Nacht genauso hübsch ist wie am Tage. Gemütliche Kneipen gibt's gleich mehrere, ein paar davon sind auf Stelzen ins Wasser gebaut. Während wir dort sitzen, fällt uns ein großer, dem Meer zugewandter Felsen auf. Trotz Dunkelheit leuchtet er Weiß auf – und wir erfahren, daß die Segler ihn schon seit Ewigkeiten als Landmarke nutzen und er immer wieder neu angestrichen wird.
Zurück im Hotel finden wir, daß die Idee mit dem Meerblick über der Disko doch nicht so genial war. Es ist kurz nach Drei, als wir endlich ein Auge zukriegen.
Tausche Elchwurst gegen Hochprozentiges
Wenn man in Norwegen nicht am Meer ist, ist man in den Bergen. Tatsächlich besteht der größte Teil des Landes aus Bergen, auch Telemark. Logisch, immerhin ist hier das Skifahren, jedenfalls der Telemarkschwung, erfunden worden. Die Gegend hat aber noch mehr zu bieten. Es gibt sogar Leute, die sagen, Telemark sei "Norwegen in einer Nußschale", man könne dort alle Landschaften antreffen, die das Land ausmachen. Unsere neuen norwegischen Freunde bestätigen das. Also fahren in diese Richtung, via Akland, Tveite und Amli.
Die Straße führt durch dichte Wälder, in denen angeblich Zehntausende von Elchen leben. Lebendig kriegen wir die nicht zu sehen, dafür sticht uns ein Verkaufsstand ins Auge mit Elch- und Rentiersalami. Die Verkäuferin, eine dicke alte Frau in Tracht, läßt uns von allen Würsten ausgiebig probieren, und als wir uns endlich für eine Elch- und eine Rentiervariante entschieden haben, fragt sie uns mit Händen und Füßen, ob wir mit Geld oder mit Schnaps zahlen möchten. Hätten wir uns zuhause mit billigem Korn eingedeckt, wäre das ein guter Deal, weil hier alles Hochprozentige extrem teuer ist. So haben wir nur den edlen Aquavit und Maltwhisky aus dem Duty Free Shop der Fähre bei uns und zahlen lieber bar.
Hinter Amli zweigen wir auf die 41 ab Richtung Brunkeberg und sind hingerissen von der ungeheuer abwechslungsreichen Landschaft: Fjorde und Berge, karges Land und romantische Natur mit vereinzelten uralten Bauerngehöften. Die knorrigen Holzhöfe, vor allem die unten schmalen und oben breiten Speicher, erinnern mich an das Wallis.
Unterwegs kaufen wir frisches Brot und biegen dann irgendwo auf einen Schotterweg ab, dem wir bis ans Ende, auf einen Berg, folgen. Dort setzen wir uns in die Sonne und picknicken – die Rentiersalami ist klasse, aber die Elchwurst noch zu frisch und fettig. Offenbar schmeckt die erst dann richtig gut, wenn sie etwas ausgetrocknet ist.
Was passiert, wenn man aus Wikingern Christen macht
In Heddal steht die größte Stabkirche Norwegens. Diese "Pagoden des Nordens" sind etwas ganz Besonderes, ein Mix aus christlicher Kirche und heidnischem Tempel. In das Holz sind kunstvoll Fabeltiere geschnitzt, den Firsten Drachenköpfe aufgesetzt, während es innen einen mittelalterlichen Bischofsstuhl gibt. Von weitem hat die Kirche etwas von einem Schiff. Das liegt daran, dass für die Nordmänner das Meer als Ursprung der Seelen immer etwas Mythisches hatte – sie bestatteten auch ihre Häuptlinge in Schiffen. Nach der Christianisierung hielten die Wikinger an dieser Idee eigensinnig fest und machten aus ihren Kirchen eine Art Superschiffe, die Diesseits und Jenseits verbinden.

Die Stabkirche von Heddal stammt aus dem Jahre 1147 – eigenartig, so altes Holz zu berühren, zu riechen. Es hat einen ganz eigenen Duft und eine warme Struktur, fast wie Samt, in der Luft hängt feiner Staub, die Stimmung ist friedlich, ruhig und anheimelnd dunkel – ein enormer Kontrast zu der Nachmittagssonne und den Touristen draussen.

Das Fjell ruft
Die Berge in Norwegen heißen Fjells. Unser erstes Fjell ist das Hoyfjell, über das wir auf dem Weg zum Gaustatoppen kommen. Der Gaustatoppen ist 1883 Meter hoch, und bei so guter Sicht wie heute kann man von oben ein Sechstel Norwegens sehen – von der schwedischen Grenze bis zur Küste. Von der Straße über Tuddal hat man einen herrlichen Blick auf den Berg. Den wollen wir noch länger genießen und suchen uns deshalb ein Hotel.
Bei der ersten Abzweigung landen wir im Leeren – am Ende der Schotterpiste sind nur eine Handvoll im Bau befindlicher Hytter. So heißen die Ferienhäuser hier – egal, ob "Hütte" oder "Villa".
Beim zweiten Versuch finden wir das Hotel Gaustablikk und dort ein Zimmer mit Aussicht (490 NK pro Person).
Im Winter ist hier ein Skigebiet mit mehreren Liften. Im Sommer kann man Bergwanderungen machen und auf dem See Kanufahren oder angeln. Das Hotel ist ein schönes, modernes Sporthotel mit Schwimmbad und Sauna, und das müssen wir natürlich nutzen. Zu unserer Verwunderung sind die Saunen für Männer und Frauen getrennt.
Zum Abendessen gönnen wir uns das große Buffett – einmal norwegische Spezialitäten rauf und runter: Reker (Garnelen) und Sild (Heringsvariationen), Laks (Lachs) und Orret (Forelle), Fiskeboller (Fischklößchen) und Kjottboller (Fleischklößchen), geräuchertes Elch- und Rentierfleisch, Multer (gelbe arktische Brombeeren) und verschiedenste Käse, darunter auch der karamelbraune Geitost. Wir schwelgen und mümmeln und kosten, bis wir verstohlen die oberen Hosenknöpfe öffnen müssen. Von wegen, in Norwegen gibt's "nix Gscheits"!
Als Betthupferl testen wir in der Bar dann noch einen Telemarkssving (Aquavit, Vermouth und Kakaolikeur) und einen Fjellbekk (Vodka, Aquavit, Lime und Sprite).
Der Fjellbekk hat es uns angetan – und prompt verschlafen wir am nächsten Morgen das Frühstück. Die netten Kellnerinnen vom Vorabend haben aber Mitleid mit uns (wir könnten womöglich vom Fleisch fallen...) und schmieren uns rasch ein paar Brote.
Draußen regnet es vor sich hin, der Gaustatoppen ist hinter dichten Wolken verschwunden, und zum Regen gesellen sich auch noch Nebelschwaden.
Der nasseste Tag
Selbst bei diesem Sauwetter ist die Landschaft unvergleichlich und die Straße ausgesprochen bike-ig. Das will eine Menge heißen!
Der Weg nach Rjukan ist eine Serpentine, ganz bis auf den Grund eines Tales. Im Winterhalbjahr fällt angeblich kein Sonnenstrahl hier hinab. Heute - Hochsommer hin oder her – übrigens auch nicht ...
In Rjukan stehen ein Kraftwerk und eine Fabrik, in der im Zweiten Weltkrieg "Schweres Wasser" hergestellt wurde, dass Deutschland für eine Atombombe hätte verwenden können. Norwegische Saboteure sprengten die Anlage, und darauf sind sie heute noch so stolz, dass es u.a. einen Saboteurspfad, einen Saboteursmarsch und eine Saboteursradtour gibt. Das Wasser, dass pausenlos auf uns herniederplatscht, kommt uns mittlerweile auch ziemlich schwer vor...
Wir fahren auf der 37 am Rande des Nationalparks Hardangervidda nach Haukeligrend. Ein Ort unterwegs heißt Rauland, uns genauso ist das Land: kein Baum, kein Strauch, nur endlose grau-grüne Tundra, Moose, etwas Heide.
Dazwischen Gipfel und durch die Berge Tunnel, so kalt und finster, wie ich noch nie Tunnel erlebt habe, richtig gruselig, vor allem, weil man beim Durchfahren merkwürdig kreischende Geräusche hört.
Entlang der Straße, die wie ein Canyon eingekerbt ist in das Land, immer wieder tosende Wasserfälle, viele davon noch schöner als der berühmte Latefoss, der gleich doppelt aus 165 Metern in die Tiefe klatscht und vor dem die Touribusse halten. Wobei die Pracht der anderen Wasserfälle möglicherweise eine Folge des konstanten Nachschubs von oben ist...
Auf dem Weg nach Odda passieren wir ein Sommerskigebiet und finden uns unversehens in der Eiszeit wieder – Schneefelder rechts und links der Straße, Moränenwälle.
Vidda bedeutet weites Land, und die Hardangervidda ist die größte Hochebene Nordeuropas. Bei soviel Weite hat der Wind Zeit und Platz genug, uns den Regen so richtig um Körper und Maschinen zu peitschen – nach einigen Stunden geben sogar unsere Schottlanderprobten, nachimprägnierten Goretex-Kombis so langsam den Kampf gegen die Elemente auf...
Die Nässe macht die Straßen gefÃ